Die Roboter-Chirurgen

Gleich mehrere neue Operationsroboter werden in Kürze auf den Markt kommen. Allerdings ist selbst bei den bisher etablierten Maschinen nicht sicher, dass sie große Vorteile gegenüber der traditionellen Chirurgie haben.

In einigen deutschen Kliniken ist es bereits Alltag: Der Patient liegt auf dem Operationstisch. Über ihm schweben vier steril verpackte Roboterarme. Einige Meter vom Tisch entfernt sitzt der Chirurg an einer Art Cockpit, konzentriert den Kopf in einer Öffnung des Apparats versenkt, wo er in bis zu zehnfacher Vergrößerung Bilder aus dem Körperinneren des Patienten sieht. Mit Steuergriffen bedient der Chirurg die Arme des Roboters und führt damit vor allem Prostata-, Blasen- und Nierenoperationen durch. Als Logo steht auf den Robotern immer „da Vinci“. Die US-Firma Intuitive Surgical hat mit diesem System seit seiner Zulassung im Jahr 2000 ein Monopol errichtet und ein Riesengeschäft gemacht.

Jetzt allerdings steht eine ganze Reihe von Robotern in den Startlöchern, die da Vinci mit mehr Intelligenz Konkurrenz machen. Ein Grund dafür ist, dass relevante Patente abgelaufen sind. Beim kommenden Roboter-Boom ist allerdings Vorsicht geboten: Chirurgen sagen zwar, dass die Roboter einige OPs erleichtern, aber nicht alle, und die hohen Kosten eines Roboters könnten die Kliniken dazu verleiten, die Technik auch aus Bilanzgründen einzusetzen, nicht nur zum Wohle der Patienten.

Etwa 877 000 Patienten ließen sich im vergangenen Jahr weltweit mit Hilfe von da Vinci operieren. 684 dieser Systeme hat der Hersteller im selben Jahr verkauft – für je nach Ausstattung bis zu zwei Millionen Euro plus Wartungsvertrag mit noch einmal bis zu knapp 150 000 Euro im Jahr. Hinzu kommen 500 bis 3 000 Euro Verbrauchskosten je Operation.

Der Nutzen von da Vinci ist nach 18 Jahren immer noch umstritten. In den USA werben Kliniken offensiv damit: Es gebe weniger Komplikationen, weniger Schmerzen, weniger Blutverlust, kürzere Klinikaufenthalte. Aber bislang gibt es keine unabhängigen Studien, die dies ausreichend belegen. Benjamin Chung, Urologie-Professor an der Universität Stanford, konnte in einer der wenigen Langzeit-Studien weder überzeugende Argumente für eine OP mit da Vinci finden noch dagegen.

Chung erklärte in einer Pressekonferenz, dass es weder beim Resultat der OP noch bei der Länge des Klinikaufenthalts signifikante statistische Unterschiede gebe. Die Studie bezog sich auf einen Zeitraum von 13 Jahren. Sicher ist, dass die roboter-assistierten OPs mehr kosten – etwa 2 000 Euro mehr pro Patient. Auch sei die Wahrscheinlichkeit einer längeren Operationszeit mit Roboter höher.

Forscher der Universität Illinois kamen zu einer weiteren Bilanz mit da Vinci: in 14 Jahren gab es damit 144 Todesfälle, 1391 Verletzungen sowie 8061 Gerätefehler. Dabei fielen heiß gewordene Teile der Instrumente in die Patienten, die Instrumente führten ungewollte Aktionen aus, es gab Systemabstürze und Probleme in der Bilddarstellung. Allerdings betreffen diese Berichte ältere Versionen des Geräts. Zudem geht aus der Studie nicht hervor, wie viele Komplikationen es im gleichen Zeitraum ohne Roboter gab.

Heute sagen Chirurgen, dass ihnen das System das Operieren tatsächlich erleichtere, darunter Professor Sören Torge Mees, Geschäftsführender Oberarzt der Klinik und Poliklinik für Viszeral-, Thorax- und Gefäßchirurgie der Technischen Universität Dresden. „Wir setzen den Roboter vor allem bei onkologischen Operationen ein, wenn wir besonders subtil arbeiten müssen, zum Beispiel tief unten im Becken bei einer Rektumresektion – der Enddarm-Entfernung.“ Durch die räumliche Enge und Blutungen kann die Sicht dabei deutlich eingeschränkt sein. Da Vinci helfe mit seiner bildlichen Vergrößerung, aber auch mit seinen vier Armen: ein Arm führt die Kamera, drei Arme arbeiten und ein assistierender Chirurg am OP-Tisch kann zusätzlich eingreifen.

In der Speiseröhrenchirurgie seien für Nahtverbindungen die sieben sogenannten Freiheitsgrade der Roboterinstrumente nützlich: Die Roboter haben mehr Gelenke als eine menschliche Hand und seien laut Mees somit den klassischen minimalinvasiven Instrumenten deutlich überlegen. Für Chirurgen sei das System von ergonomischem Vorteil, da sie im Stuhl sitzen können und sich nicht über dem Patienten verrenken müssen, wie dies bei einigen minimalinvasiven Operationen notwendig sei.

„Andererseits arbeitet man so konzentriert auf kleinem Gebiet, dass es bei einer mehrstündigen Operation trotzdem anstrengend sein kann“, sagt Mees. Doch das Gerät habe auch Nachteile: Die OP-Zeit könne sich in der Tat verlängern, da die Bedienung Zeit brauche. Es dauere auch lange, bis sich Chirurgen eingearbeitet haben. Bei einer Magen-OP braucht ein erfahrener Chirurg in etwa 20 Eingriffe, um mit dem System die gleiche Qualität zu erreichen wie ohne, bei Bauchspeichel-Operationen eher 50. Auch sei das Gerät technisch noch nicht ausgereift. Mees sagt: „Wenn ich in größeren Bereichen zwischen Oberbauch und Unterbauch arbeite, muss ich aufpassen, dass die Arme des Roboters nicht zusammen stoßen.“ Das ließe sich mit Sensorik verhindern.

Ein weiterer Nachteil ist die fehlende Haptik. Ein erfahrener Chirurg kann bei minimalinvasiven Operationen mit den Instrumenten einen Tumor ertasten, weil er den Widerstand des Knotens spürt. Bei einer roboter-assistierten OP brauchen Chirurgen Behelfsmechanismen – sie müssen beispielsweise den Tumor mit Tusche oder Clips vorab markieren, damit sie genau wissen, wo er sich befindet.

„Es gibt somit Operationen, bei denen das da Vinci-Operationssystem meiner Ansicht nach klare Vorteile hat, etwa bei Prostataoperationen, tief unten im Becken oder im Brustkorb“, sagt Mees. „Für andere OPs wird sich das System vermutlich nicht der klassischen minimalinvasiven Chirurgie als überlegen zeigen.“ Tatsächlich weisen erste Studien darauf hin, dass das System zum Beispiel bei Gallenblasen- oder Gebärmutter-Entfernungen nicht besser ist. Zudem ist noch nicht erwiesen, inwiefern die Vorteile für Chirurgen auch welche für Patienten mit sich bringen.

Die Hersteller neuer Roboter wollen daher einiges anders machen als bei da Vinci und ihm Marktanteile abjagen. Da ist zum Beispiel das amerikanische „Senhance Surgical Robotic System“ von TransEnterix, das aus drei robotischen Armen besteht und sich für die gleichen Operationen eignet. Es hat einen „Force Feedback“: Der Chirurg kann den Widerstand des Gewebes, das vom Roboterarm berührt wird, grob spüren. Durch Eye-Tracking – der Vermessung der Augenbewegungen – kann der Chirurg das Endoskop mit den Augen steuern, so dass er die Hände für die Steuerung der übrigen Instrumente frei hat.

Das System wurde in den USA von der Regulierungsbehörde FDA vor kurzem zugelassen. Weitere Roboter, die bald auf den Markt kommen oder bereits gekommen sind, stammen von Firmen wie Versius, Medtronic, CMR Surgical, Auris Health, Smith & Nephew, Stryker, Mazor Robotics und Zimmer Biomet.

Große Innovationen bringen diese Systeme allerdings nicht in den OP. Das haptische Feedback muss zum Beispiel noch viel präziser werden – etwa um automatisch gesundes Gewebe von Tumorgewebe unterscheiden zu können. Alexander Schlaefer, Professor für medizintechnische Systeme an der Technischen Universität Hamburg arbeitet an diesem Problem. Eine Herausforderung ist dabei, auf zusätzliche Sensorik an den Instrumenten zu verzichten. Die Integration wäre sonst zu aufwendig, ebenso die Reinigung.

Sein Team setzt auf eine Kombination aus Endoskop und optischer Kohärenztomografie. „Wir können damit erkennen, wie das Gewebe im Körper beim Kontakt mit einem Instrument reagiert – wie es sich an der Oberfläche und darunter verformt“, sagt Schlaefer. Die Schwierigkeit sei, aus diesen Informationen auf die exakte Kraft zu schließen, die auf das Gewebe einwirkt, zudem muss die Software dabei möglichst schnell sein, um Latenzen während der OP zu minimieren. Die Kraft genau zu bestimmen wäre hilfreich, um dem Chirurgen ein genaueres haptisches Feedback als bisher zu geben, aber auch, um Tumore besser abzugrenzen – um also die Chirurgen dabei zu unterstützen, den Tumor vollständig zu entfernen und möglichst wenig gesundes Gewebe zu beschädigen. Es wird vermutlich noch Jahre dauern, bis Roboter so etwas zuverlässig hinbekommen.

Solange solche deutlichen Fortschritte ausbleiben und zudem Studien fehlen, ist es für Patienten und Kliniken nicht leicht, sich für oder gegen eine OP mit einem der neuen Robotern zu entscheiden. Es besteht die Gefahr, dass Kliniken ein teures System anschaffen und auch bei Operationen einsetzen, für die es nicht unbedingt ideal ist – um die Kosten wieder herein zu bekommen. Die Firma CMR Surgical plant sogar, einen Roboter nicht an die Kliniken zu verkaufen, sondern stattdessen über einen Service-Vertrag zu verleihen – dafür müssten sich die Kliniken zu einer Minimalzahl an Einsätzen verpflichten, damit es sich für alle lohnt. Die Firma hält das System dafür auf dem aktuellen Stand.

„Es ist letzten Endes äußerst schwierig, solche Technologien zu evaluieren“, sagt Jörg Raczkowsky, Leiter der Medizin-Gruppe am Institut für Anthropomatik und Robotik des Karlsruher Instituts für Technologie. Aus neutraler Sicht lohne sich ein System erst, wenn es Nachoperationen oder Komplikationen verhindere oder den Patienten zum Beispiel weniger Strahlung während der OP aussetze. „Aber das können nur Statistiken auf lange Sicht belegen.“

Dieser Text erschien in der Süddeutschen Zeitung.